Da sprichst du was Interessantes (und Brisantes) an. Ich habe auch den Eindruck, dass viele Nähbücher (und auch Kochbücher!) von Quereinsteiger_innen produziert werden. Das muss ja noch nicht schlecht sein. Wer ein Hobby viele Jahre lang ausübt und sich intensiv damit beschäftigt, sammelt im Laufe der Jahre einiges Fachwissen an, das er oder sie weitergeben kann.
Beim Kochen/Backen fällt mir dazu Lutz Geißler (
www.ploetzblog.de) ein, ein studierter Geologe, der 2008 begonnen hat, daheim Brot zu backen und soviel experimentiert und nachgelesen und wieder experimentiert hat, dass er heute als Experte anerkannt ist und dass gelernte Bäcker zu ihm in Fortbildungslehrgänge gehen.
Viel dubioser finde ich die Leute, die vor zwei oder drei Jahren das erste Stück genäht haben, "vom Nähvirus erfasst" wurden und nach kurzer Zeit damit beginnen, via Blog oder YouTube und vereinzelt eben auch in Büchern ihr Halbwissen auszuposaunen. Enthusiasmus und Liebe zum Hobby sind schon gut, aber sie reichen nicht aus, wenn das Ergebnis objektiven Kriterien genügen soll.
Inge Szoltysik-Sparrer ("Nähgesetzbuch") ist gelernte Schneidermeisterin mit eigenem Salon.
Yashiko Mizuno (div. Bücher bei Stiebner) ist Absolventin der BUNKA Modeschule in Tokyo und hat nachher in der Konfektion gearbeitet, bevor sie sich als Designerin selbständig gemacht hat.
Gertrud Behrendsen (Autorin einiger Nähbücher von Anfang des 20. Jahrhunderts) war Fachlehrerin für Nadelarbeit an einer gewerblichen Frauenschule.
Von Lieselotte Kunder ("Schneidere selbst") weiß ich nicht, welche Ausbildung sie hatte (früher blieben Autorinnen und Autoren von Fachbüchern eher im Hintergrund und wurden jedenfalls nicht im Buch oder im Klappentext groß beschrieben). Sie war aber jedenfalls jahrelang am Nähinstitut der Pfaff A.G. tätig und hat dort Kurse geleitet.
Lynda Maynard (Couture Sewing Techniques, auf Deutsch: Professionell Schneidern), hat ein Studium über Textilkunst absolviert und war dann jahrelang Lehrerin im Textilbereich von diversen Hochschulen, Colleges und Privatschulen).
Von Claire B. Shaeffer habe ich auf die Schnelle nur gefunden, dass sie eine international anerkannte Expertin für anspruchsvolle Nähtechniken ist und seit vielen Jahren für Vogue (Schnitte) und das Threads Magazin schreibt.
Die Autorinnen der diversen Burda- und Brigitte Nähbücher hatten jedenfalls einschlägige Ausbildungen als Schneiderinnen und Schnittdirektricen und jahrelange Praxis. (Unter den heutigen Burda-Macher_innen dürften mehr Marketing- und Kreativ-Leute sein als Schneider_innen - einige von ihnen findet man bei XING.)
Ich denke, dass auch früher viele Nähbuchautorinnen keine gelernten Schneidermeisterinnen waren, sondern Absolventinnen von gewerblichen Frauenoberschulen oder Textilfachschulen, die es ja reichlicher gab als heute. Die hatten aber jedenfalls eine solide Wissensbasis und wussten durch jahrelange Lehrtätigkeit, was Anfängerinnen Schwierigkeiten macht.
Da die Textilproduktion in den letzten 20-30 Jahren fast vollständig nach Asien verlagert worden ist und die paar größeren europäischen Modeunternehmen, die überlebt haben, in Europa nur noch den Vertrieb und ev. die Designabteilung sitzen haben, wurden auch die entsprechenden schulischen Ausbildungen reduziert bzw geändert. Heute kann man hier eher Textilmarketing oder Textildesign lernen als Schneiderei.